ORF-Nachlese: Das CoronaImpfungs-Spezial
Der folgende Text stammt aus dem Interview von Julia Brunhofer für die ORF Nachlese Mai 2021
Je mehr Menschen geimpft sind, umso mehr wird auch über die Impfstoffe bekannt – Positives wie Negatives. Was wir derzeit zu Wirkweisen, Nebenwirkungen und Neuheiten wissen, erklären unseren ORF-Experten.
Denken Sie, dass der Impfstoff von AstraZeneca jemals noch von der Bevölkerung anerkannt wird?
Günther Mayr: Große Teile der Bevölkerung haben kein Problem mit diesem Impfstoff. Aus medizinischer Sicht kann man sagen: In 99,9995 Prozent der verabreichten Impfdosen sind Probleme mit gefährlichen Thrombosen nicht aufgetaucht. Ärztinnen und Ärzte wissen mittlerweile auch genau, was im Anlassfall zu tun ist. Aber es gibt dennoch auch nicht wenige Menschen, die Bedenken haben. Das ist ernst zu nehmen. Schlussendlich wird es auch eine Frage der Alternativen sein. Ohne den Impfstoff von AstraZeneca werden Impfpläne nicht haltbar sein und es wird wesentlich länger dauern, bis alle, die es wollen, eine Impfung bekommen haben.
Ist die Umbenennung des Impfstoffes wirklich die Lösung?
Günther Mayr: Wohl eher nicht. Für uns alle ist es „der Impfstoff von AstraZeneca“. Zunächst hat er ChimpAdOx-1 geheißen (hergeleitet von „Chimpansee Adenovirus Oxford 1“, also ein Schimpansen-Adenovirus aus Oxford, Impfung der ersten Generation). Jetzt wurde er auf Vaxzevria umgetauft. Zum einen ändern Pharmafirmen nach der Entwicklung eines Medikaments öfters die Namen, zum anderen wird es wohl eher der Firma zugeordnet als dem komplizierten Markennamen. Ob es geschickt war, in einer Phase der Kritik den Namen zu ändern, müssen die Marketingabteilungen des Konzerns beurteilen.
Man hört, dass viele Menschen eine Impfung mit AstraZeneca nun ablehnen, was geschieht mit diesen abgelehnten Dosen?
Günther Mayr: An sich sollte es Listen geben, wer bei Ausfällen an die Reihe kommt. Das wird aber in den Bundesländern offenbar unterschiedlich gehandhabt – es wird auch von „Impfdränglern“ berichtet, die sich vordrängen wollen. Klar ist: Bei einer Knappheit an Impfstoffen wäre es schwer verständlich, wenn Dosen im Mistkübel landen. Aber es muß transparent sein, wer warum außer Plan geimpft wurde.
Denken Sie, dass man in einem Jahr noch von genau diesen ersten auf den Markt gekommenen Impfstoffen sprechen wird oder gibt es dann völlig neue?
Günther Mayr: Die wichtigsten, jetzt zugelassenen Impfstoffe werden sicher noch ein Thema sein. Die Wirkung und auch mögliche Nebenwirkungen dieser Impfstoffe werden auch ständig überprüft und es wird auch sehr viel daran geforscht, wie man sie bei eventuellen Mutationen des Virus anpassen kann. Das ist bei den modernen Impfstoffen relativ leicht möglich und es muß auch kein neues Zulassungsverfahren durchlaufen werden.
Für viele Menschen bedeutet Impfung gleichzeitig Immunisierung – ist dem bei allen derzeit zugelassenen Corona-Impfstoffen auch so?
Günther Mayr: Neue Untersuchungen zeigen, daß die zugelassenen Impfstoffe auch eine Weitergabe des Virus unterbinden – zu welchem Prozentsatz, ist noch nicht ermittelt, nach israelischen Studien zu mindestens achtzig Prozent. Klar ist: Je mehr Menschen geimpft sind, umso enger wird es für das Virus. Da müssen nicht mehr alle komplett immun sein – die Ausbreitung wird dennoch gestoppt, weil zu viele schon den berühmten „Herdenschutz“ bewirken. Der dürfte bei diesem Virus gegeben sein, wenn ca. 70 Prozent geimpft sind.
Die ganze Welt blickt auf die Impfungen – wie weit ist man aber in der Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19? Unternehmen haben ja angekündigt, ein solches Medikament in der Testphase zu haben …
Günther Mayr: Verschiedene Fir-men und Forscher arbeiten an Medikamenten. Unter anderem der österreichische Mikrobiologe Josef Penninger. Marktreif ist leider noch nichts. Prinzipiell setzen die interessantesten Medikamente dort an, wo auch die Impfungen wirken: An der Oberfläche des Virus, mit dem es in die Körperzellen eindringt. Bei der Behandlung selbst haben Intensivmediziner aber auch große Fortschritte gemacht und mittlerweile viel mehr Erfahrung.
Denken Sie, wird es den Tag geben, an dem Corona überhaupt kein Thema mehr für uns sein wird?
Günther Mayr: In die Geschichtsbücher wird diese Pandemie in jedem Fall eingehen. Aber so wie jede Seuche wird auch diese vorübergehen. Und wir Menschen sind Meister im Verdrängen und Vergessen. Das ist ja auch ein Schutz für die Psyche. Ich bin sicher, in einigen Jahren werden wir viel mehr über Klimawandel reden als über Corona, das wir dann (hoffentlich) überwunden haben werden. Auch wenn sich viele mit Schaudern erinnern werden: „Weißt Du noch – mit den Masken …“
Immer mehr Menschen sind nun schon mit beiden Dosen geimpft. Aber man hört auch, dass sich Geimpfte wieder anstecken …
Siegfried Meryn: Wir lernen tatsächlich täglich dazu und die Situation ist komplexer als wir ursprünglich geglaubt haben. Eine Wiederansteckung ist eine absolute Rarität und tritt nur dann auf wenn zum Beispiel die Erstansteckung mit dem ursprünglichen „Wildtypus“ und die neuerliche Ansteckung mit einer mutierten Variante zum Beispiel der brasilianischen erfolgt.
Gesetzt den Fall, ein Geimpfter kann sich wieder anstecken, kann er das Virus dann zwangsläufig auch weiterhin übertragen?
Siegfried Meryn: Ich möchte nochmals betonen, dass mit dem Wissen von heute und den derzeitigen Virusvarianten in Österreich, dies eine absolute Ausnahme und Rarität darstellt. Alle Impfungen haben bis dato gezeigt, dass, wenn man infiziert wird die Viruslast und damit die Infektiosität deutlich geringer sind.
Was ist für Sie der größte Nutzen der Corona-Impfung?
Siegfried Meryn: Der Nutzen steht außerhalb jedes Zweifels! Die Erfolge sieht man am Besten in Israel, England und den USA, aber auch schon bei den älteren in Österreich geimpften Menschen, bei denen die Infektionsraten und Sterbefälle dramatisch zurückgegangen sind. Die Menschen können mit einigen Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen weitgehend wieder zum normalen Leben zurückkehren. Wir erinnern uns alle hoffentlich noch an die schrecklichen Zeiten vor der Coronaimpfung …
Wie wird es mit den bestehenden Impfstoffen in Zukunft weitergehen?
Es wird wahrscheinlich ähnlich den Grippeimpfungen sein, dass man laufend die vorhandenen Impfstoffe an die jeweiligen neu mutierten Virusvarianten anpassen wird müssen. Mit den völlig neuen Technologien wie zum Beispiel der mRNA-Methode gelingt dies aber sehr schnell und effizient und stellt einen absoluten Durchbruch bei der Herstellung von Impfstoffen dar. Wahrscheinlich wird es auch einen Impfstoff als Nasenspray geben, bei dem es darum geht, bei der Eintrittspforte des Virus die sogenannten IgA-Antikörper als Schutzschild aufzubauen. Dadurch könnte möglicherweise die Infektion selbst verhindert werden. Die derzeitigen Impfstoffe produzieren hingegen IgM- und IgG-Antikörper, die über das Blut wirken.
IWe schätzen Sie die Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19 ein? Roche hat ja angekündigt, ein solches Medikament in der Testphase zu haben und der in Österreich produzierende Takeda-Konzern …
Siegfried Meryn: Tatsächlich ist das ein ganz wesentlicher weiterer Pfeiler in der Bekämpfung der Covid-19 Pandemie. Es gibt bereits viel versprechende Resultate aus Phase-zwei und -drei Studien mit den von Ihnen angesprochenen Antikörpern, die, in den ersten 72 Stunden verabreicht, einen schweren Verlauf verhindern bzw. eine Spitalsaufnahme nicht erforderlich machen. Ich bin hier sehr optimistisch, dass wir in den nächsten 3-6 Monaten entsprechend wirksame Therapien einsetzen werden können.
Sollen junge Frauen vorsichtig mit dem AstraZeneca Impfstoff sein?
Siegfried Meryn: Bedauerlicherweise gibt es derzeit keine international standardisierten Empfehlungen. WHO, EMA und die jeweiligen nationalen Impfgremien unterscheiden sich in einigen Punkten, und haben dadurch auch zur Verunsicherung beigetragen. Bei keiner Impfung gibt es eine 100%ige Sicherheit! Meine Empfehlung mit dem Wissen von heute wäre eine intensive Aufklärung mit kompletter Risikodarstellung sowie, wenn genügend andere Impfstoffe vorhanden sind, Frauen nur älter als 60 mit diesem Impfstoff zu impfen.
Stichwort Nebenwirkungen: Gibt es so etwas wie ein Patentrezept, um inzwischen bekannte Nebenwirkungen zu lindern oder ihnen gar vorzubeugen?
Siegfried Meryn: Man kann etwa 500 mg Paracetamol bis zu dreimal einem in den 24 folgenden Stunden einnehmen.