Bis der Akku leer ist – Macht uns das Handy krank?
Der folgende Text stammt von Julia Brunhofer für die ORF Nachlese Juli 2024.
Kaum jemand kann sich mehr ein Leben ohne Handy vorstellen. Die Wissenschaft warnt vor einem Zuviel der Handynutzung wegen gesundheitlicher Folgen.
Im „gesunden Gespräch“: Oliver Scheibenbogen, Anna-Sophie Standl, Siegfried Meryn und Tristan Horx.
Das Smartphone gehört zu uns: Fast alle Österreicherinnen und Österreicher besitzen eins. Ständig in unmittelbarer Nähe positioniert, macht es uns dauernd erreichbar – und abhängig. Für viele fällt der erste Blick nach dem Aufwachen auf den Handybildschirm, über den Tag verteilt werden etliche Nachrichten mit Freunden, Familie und der Arbeit ausgetauscht. Und abends verfallen immer mehr Menschen dem Social-Media-Algorithmus, um sich nach ewigem Scrollen wiederzufinden, ohne genau zu wissen, welche Inhalte sie gerade konsumiert haben.
„Man hat den Eindruck, die Österreicher können ohne Handy nicht mehr. Ein Trend, der in anderen Ländern wohl ziemlich ähnlich verläuft. Wie wichtig ist für Sie persönlich das Handy?“, eröffnet Meryn das „gesunde Gespräch“.
Scheibenbogen: „Ich zähle mich selbst schon zu den Poweruser, nutze es also durchaus intensiv, beruflich wie privat. Aber – und das, glaube ich, ist ein ganz wichtiger Punkt – ich versuche auch Zeiten zu finden, in denen ich ganz bewusst auf das Handy verzichte.“
Standl: „Ich nutze mein Handy nur noch privat. Ich lese zwar E-Mails darauf, antworte aber immer über den Computer. Ich nutze es als Navigationstool, ich verwende WhatsApp, um mit meinen Freunden zu kommunizieren, aber hab keine Social Media mehr. Weil es süchtig macht.“
Horx: „Ich bin Digital Native und Zukunftsforscher, man könnte meinen, ich hätte das Handy schon als Chip in mir installiert – habe ich aber nicht. Ich lebe stark die Trennung zwischen privat und beruflich. Beruflich brauche ich es stark, privat bin ich immer derjenige, über den sich alle aufregen, weil ich nie antworte und nie online bin. Diese Trennung halte ich sehr bewusst, weil ich schon gemerkt habe, dass soziale Beziehungen sehr leiden. wenn sie immer weiter ins Digitale verfrachtet werden.“
Wer soziale Kompetenz Im echten Leben gelernt hat, braucht keine digitalen Verstärker wie Likes.
Meryn: „Ab welchem Punkt spricht man von Handy- oder Internetsucht?“
Scheibenbogen: „Die Kriterien zur Diagnose sind oft unscharf. Was jede Sucht gemein hat, ist der Kontrollverlust. Man nimmt sich vor, 2-3 Stunden am Handy zu bleiben und daraus werden 5-7 Stunden. Ein weiteres Kriterium ist, dass es negative Konsequenzen gibt. Da geht’s in Richtung Beziehungsprobleme. schulische Probleme oder welche am Arbeitsplatz. Und trotzdem setze ich mein süchtiges Verhalten fort.“
Meryn: „Warum machen Menschen das? Was passiert da im Körper?“
Scheibenbogen: „Wie jede Droge bedient es das Dopamin-System. Das sind Belohnungseffekte. Und ich komme aus einem negativen, vielleicht neutralen Gefühl durch die Benutzung des Handys in ein eher positiveres Gefühl hinein. Gerade bei den sozialen Medien kommt auch das Anschlussmotiv hinzu, was den Menschen seit jeher begleitet. Wir haben immer das Gefühl, etwas zu verpassen. Gerade die Smartphones sind so aufgebaut, dass wir in dieses Checking-Behavior kommen und ständig nach- schauen. Je stärker die Angst ist, etwas zu verpassen, fear of missing out genannt, desto stärker ist der Handykonsum und desto stärker ablenkbar ist man durch das Smartphone.“
Meryn: „Sie waren eine erfolgreiche Influencerin. Wie darf man sich so ein Leben mit acht Stunden und mehr online pro Tag vorstellen?“
Standl: „Es war eine sehr anstrengende Zeit, wobei ich das damals nicht so empfunden habe. Es war normal für mich, ständig online zu sein und mich zu präsentieren. Auch ich habe stark die Angst verspürt, etwas zu verpassen. Ich habe ständig an die Arbeit gedacht, konnte zwischen Arbeit und Privatleben sehr schwer unterscheiden. Warum ich damit aufgehört habe: Ich hatte mit 30 Jahren einen Schlaganfall, konnte meine ganze linke Seite nicht mehr bewegen. Ein Arzt hat gefragt, ob ich viel Stress in meinem Leben habe. Damals habe ich noch Nein gesagt, aber die Frage hat mich beschäftigt. Also habe ich mal gegoogelt: was ich hatte, nennt man digitalen Stress. Ich habe mich immer mehr mit dem Thema soziale Medien und mentale Gesundheit beschäftigt, die Ausbildung zur Diplom-Mentaltrainerin gemacht und mein Influencer-Dasein auslaufen lassen.“
Meryn: „Wie interpretieren Sie die Rolle des Smartphones heute und morgen, wohin treiben wir?“
Horx: „Das Smartphone ist momentan sozusagen die Hardware, die wir brauchen, um das Ganze nutzen zu können. Das wird aber bald getrennt sein, also die ganze Rechenleistung wird nicht mehr dort sein müssen, wo das Gerät ist. Ich denke, wir müssen deswegen genau jetzt noch entscheiden, wie wir damit umgehen, weil ich denke, das wird vom Suchtpotenzial noch viel, viel höher werden. Gerade bei der jüngeren Generation merkt man einerseits eine digitale Erschöpfung, aber gleichzeitig kommen die Leute nicht raus aus dem Hamsterrad.“
Meryn: „Woran machen Sie digitale Erschöpfung fest?“
Horx: „Der Begriff hängt vor allem mit der digitalen Einsamkeit zusammen. Das ist alles mit Studien belegt. Wenn man ‚Einsamkeit‘ hört, denkt man oft an alte Menschen, aber das stimmt nicht. Die einsamste Generation ist momentan die jüngste. Das ist natürlich subjektiv erhoben, Einsamkeit zu quantifizieren ist schwierig; aber es zeigt, dass wir Menschen einfach nicht gebaut sind für 5 000 Freunde. In der Soziologie weiß man, dass wir für Gruppen bis maximal 500 Personen gebaut sind. Irgendwann wird die individuelle Beziehung zu jeder Person so gering, dass sie einem keine Erfüllung mehr gibt. Dann wird sie abstrakt, eine Zahl, die mir einen kleinen Dopaminkick gibt, aber die echte Bindung fehlt. Ich hatte auch immer die These, der allereinsamste Mensch auf dem Planeten ist der Influencer. Er hat die allermeisten Kontakte, aber die wenigsten Bindungen.“
Standl: „Absolut. Ich habe mich nie so allein gefühlt wie in dieser Zeit. Ich war zwar viel unterwegs, viel auf Events, also die sozialen Kontakte waren da, aber null Bindung, oberflächliche Gespräche.“
Horx: „Das Netz hat eben die Verbindungsfragen geklärt, aber nicht die Beziehungsfragen. Gerade meine Generation dachte: ‚Einfach mit allen verbinden, dann wird das schon.‘ Aber jetzt merkt man, dass das so nicht funktioniert.“
Scheibenbogen: „Mittlerweile bahnt sich auch an, dass ich über Streaming spielen kann. Also ich kann spielen am Handy, auf der Konsole, am Computer, überall, wo ich will und zu jeder Zeit. Das klingt prinzipiell verlockend, aber genau diese Möglichkeiten überfordern einen, weil alles möglich ist. Deswegen brauchen wir Grenzen.“
Kinder und Jugendliche brauchen Alternativen zu Smartphone und Internet
Meryn: „Was passiert in meinem Gehirn, wenn ich in die Sucht kippe?“
Scheibenbogen: „Es gibt zwar nicht die Suchtpersönlichkeit, aber es gibt eine gewisse Vulnerabilität. Wenn ich eine gute Identität aufgebaut habe, bin ich viel weniger anfällig dafür. Das heißt aber nicht, dass ich später nicht doch einmal süchtig werde. Die Gene spielen zum Teil eine Rolle – wenn ich etwa hochgradig sozial ängstlich bin, dann könnte das Handy sogar eine gute Funktion erfüllen: Als Art Kuscheldecke, die mir hilft. real auch in Kontakt zu treten. Das Problem sehen wir auch bei Jugendlichen: jene, die sehr viele Facebook- oder TikTok-Freunde haben, aber nie gelernt haben, reale Beziehungen aufzubauen, die haben dann später ein Problem. Bei Erwachsenen können die digitalen Freunde auch gerade beruflich eine nützliche Ergänzung sein.“
Meryn: „Ob Schrittzähler, Herzfrequenz- oder Blutzuckermessung, ich bin gläsern und bekomme permanent Daten zurück – wohin geht die Reise dieser Selbstoptimierung?“
Horx: „Das ist so ein bisschen die Suche nach dem ewigen transhumanistischen Ideal: Irgendwann wird man nie sterben, weil man nur noch aus Maschinenteilen besteht und sein Hirn in die Cloud hochladen kann. Die Frage dabei ist auch, wie viel wollen wir eigentlich immer über uns wissen? Ein gewisser Charme des Menschen ist ja, manchmal auch nicht immer alles zu wissen. Wir ertrinken ja langsam in Informationen. Die Auswahl wird zum Problem. Wenn Sie in Österreich eine Umfrage machen, werden Sie sehen, dass die Qualität der Information, die Sie im Internet finden, stetig runtergeht. Man googelt ein Symptom und bekommt fast immer Krebs als Ursache. Das ist diese massive Zuspitzung von Daten, die nur auf Aufmerksamkeit gedreht ist. Das ist natürlich gefährlich. Aber das ist auch regulatorisch eine globale Angelegenheit Es muss oft eine Zäsur geben, damit sich was ändert. Das wird ganz sicher auch hier passieren. Bei der ganzen Kl-Entwicklung wird etwas massiv schiefgehen und erst dann wird es eine gemeinsame Regulierung dafür geben.“
Meryn: „Welches sind die Verführungstricks, auf die wir am Smartphone hereinfallen?“
Standl: „Mark Zuckerberg hat Instagram gekauft; weiß, bei den Menschen funktionieren Signalfarben und macht das Logo in Ombré-Style pink, gelb, orange, rot, lila. Das schaut super aus, da will man hindrücken. Dann haben wir Autoscroll, also von alleine scrollen. Es gibt Autoplay, nach jedem Video kommt das nächste automatisch. Das kennen wir auch von Netflix. Deswegen fällt es so schwer, hier aufzuhören. Wir haben endless scroll, also es geht ewig so weiter. Außerdem Gamification, also Belohnungs- und Bestrafungssysteme. Gerade bei Spielen – am Anfang ist es gratis und einfach, es macht Spaß, das Dopamin steigt. Dann wird es aber immer schwieriger und man muss dafür zahlen. Das ist die Bestrafung. Likes sind nichts anderes als eine Form von Aufmerksamkeit, sie aktivieren das Belohnungszentrum, wie ein Kompliment, das bekommen wir gerne. Also da gibt es unzählige Mechanismen.“
Scheibenbogen ergänzt: „Spielfortschritte sind die soziale Währung in der Schulklasse. Auch wenn ich ein Wissen habe, bin ich wer, bin anerkannt. Es ist aber so wichtig, dass wir in der Realität schöne Erlebnisse schaffen. Erfolgserlebnisse, echte Begegnungen, freundschaftliche Begegnungen in der Schulklasse, damit man sie mit allen Sinnen erfahren kann.“
Meryn: „Was passiert in meinem Gehirn, wenn ich in die Sucht kippe?“
Scheibenbogen: „Es gibt zwar nicht die Suchtpersönlichkeit, aber es gibt eine gewisse Vulnerabilität. Wenn ich eine gute Identität aufgebaut habe, bin ich viel weniger anfällig dafür. Das heißt aber nicht, dass ich später nicht doch einmal süchtig werde. Die Gene spielen zum Teil eine Rolle – wenn ich etwa hochgradig sozial ängstlich bin, dann könnte das Handy sogar eine gute Funktion erfüllen: Als Art Kuscheldecke, die mir hilft. real auch in Kontakt zu treten. Das Problem sehen wir auch bei Jugendlichen: jene, die sehr viele Facebook- oder TikTok-Freunde haben, aber nie gelernt haben, reale Beziehungen aufzubauen, die haben dann später ein Problem. Bei Erwachsenen können die digitalen Freunde auch gerade beruflich eine nützliche Ergänzung sein.“
Meryn: „Ob Schrittzähler, Herzfrequenz- oder Blutzuckermessung, ich bin gläsern und bekomme permanent Daten zurück – wohin geht die Reise dieser Selbstoptimierung?“
Horx: „Das ist so ein bisschen die Suche nach dem ewigen transhumanistischen Ideal: Irgendwann wird man nie sterben, weil man nur noch aus Maschinenteilen besteht und sein Hirn in die Cloud hochladen kann. Die Frage dabei ist auch, wie viel wollen wir eigentlich immer über uns wissen? Ein gewisser Charme des Menschen ist ja, manchmal auch nicht immer alles zu wissen. Wir ertrinken ja langsam in Informationen. Die Auswahl wird zum Problem. Wenn Sie in Österreich eine Umfrage machen, werden Sie sehen, dass die Qualität der Information, die Sie im Internet finden, stetig runtergeht. Man googelt ein Symptom und bekommt fast immer Krebs als Ursache. Das ist diese massive Zuspitzung von Daten, die nur auf Aufmerksamkeit gedreht ist. Das ist natürlich gefährlich. Aber das ist auch regulatorisch eine globale Angelegenheit Es muss oft eine Zäsur geben, damit sich was ändert. Das wird ganz sicher auch hier passieren. Bei der ganzen Kl-Entwicklung wird etwas massiv schiefgehen und erst dann wird es eine gemeinsame Regulierung dafür geben.“
Meryn: „Welches sind die Verführungstricks, auf die wir am Smartphone hereinfallen?“
Standl: „Mark Zuckerberg hat Instagram gekauft; weiß, bei den Menschen funktionieren Signalfarben und macht das Logo in Ombré-Style pink, gelb, orange, rot, lila. Das schaut super aus, da will man hindrücken. Dann haben wir Autoscroll, also von alleine scrollen. Es gibt Autoplay, nach jedem Video kommt das nächste automatisch. Das kennen wir auch von Netflix. Deswegen fällt es so schwer, hier aufzuhören. Wir haben endless scroll, also es geht ewig so weiter. Außerdem Gamification, also Belohnungs- und Bestrafungssysteme. Gerade bei Spielen – am Anfang ist es gratis und einfach, es macht Spaß, das Dopamin steigt. Dann wird es aber immer schwieriger und man muss dafür zahlen. Das ist die Bestrafung. Likes sind nichts anderes als eine Form von Aufmerksamkeit, sie aktivieren das Belohnungszentrum, wie ein Kompliment, das bekommen wir gerne. Also da gibt es unzählige Mechanismen.“
Scheibenbogen ergänzt: „Spielfortschritte sind die soziale Währung in der Schulklasse. Auch wenn ich ein Wissen habe, bin ich wer, bin anerkannt. Es ist aber so wichtig, dass wir in der Realität schöne Erlebnisse schaffen. Erfolgserlebnisse, echte Begegnungen, freundschaftliche Begegnungen in der Schulklasse, damit man sie mit allen Sinnen erfahren kann.“