Lebenslang in Bewegung – Die Kraft der Aktivität
Der folgende Text stammt von Julia Brunhofer für die ORF Nachlese Juni 2024.
Der Mensch ist für die Bewegung geboren, nicht für den Stillstand. Dennoch sieht die Bilanz körperlicher Aktivität vieler Menschen in Österreich schlecht aus. Wieso wir aktiv gegensteuern sollten.
Im „gesunden Gespräch“: Alexander J. Rüdiger, Dr.in Manuela Macedonia, Sigfried Meryn und Dr. Thomas Dorner.
Sitzen im Job, abends auf der Couch und die Neigung zum Bewegungsmuffel nicht selten gepaart mit ungünstiger Ernährung führen zu gesundheitlichen Folgen wie Adipositas, Rückenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Sitzen ist das neue Rauchen“ ein Satz, der verdeutlicht, dass potenzielle gesundheitliche Folgen mangelnder Bewegung nicht unerheblich sind, nimmt man nur das um 40 Prozent höhere Sterberisiko. Und neben den persönlichen Auswirkungen sind auch die gesellschaftlichen Kosten für den Gesundheitsbetrieb ein Faktor.
„Was bedeutet Bewegung für Sie persönlich?“, eröffnet Meryn das „gesunde Gespräch“.
Macedonia: „Bewegung ist die Oase meines Lebens. Auch nach einem langen Arbeitstag packe ich mich zusammen, mache einen langen Spaziergang oder gehe im Winter langlaufen. Dann werde ich psychisch ausgeglichen und geistig leistungsfähig. Und das Wochenende ist sowieso für Bewegung reserviert, egal zu welcher Jahreszeit, egal bei welchem Wetter.“ Rüdiger: „Um es kurz zu fassen: Für mich ist Bewegung das Leben. Es gibt gesundheitliche Vorgaben, 2015 habe ich die Diagnose Parkinson bekommen, und da hat sich sehr viel geändert. Ich habe einfach gesehen, nebst einer überschaubaren Medikation, wie wichtig Bewegung ist. Für mich ist Bewegung in der freien Natur die beste Medizin und präventiv für meine Familie.“
Dorner: „Bewegung hat einen hohen Stellenwert für mich, ich sitze beruflich sehr viel und da ist sie ein wichtiger Ausgleich. Auch ich mache Bewegung für mein Gehirn und meine mentale Gesundheit, aber nicht nur. Ich mach schon auch Bewegung für meinen Körper und damit ich mir das Essen körperlich leisten kann.“
Meryn: „Was bedeutet Bewegung für den Körper?“
Dorner: „In der Gesundheitsförderung, aber auch in der Medizin, ist Bewegung der Faktor im Lebensstil, der am besten wissenschaftlich abgesichert ist und wo erwiesen ist, dass man viel für die Gesundheit bewirken kann. Warum? Weil dadurch im Körper Veränderungsprozesse ablaufen man kann die Kraft und Ausdauer steigern, die Beweglichkeit bzw. Flexibilität und Koordination verbessern. Diese vier Parameter kann man trainieren. Das wiederum hat Einfluss auf so gut wie alle körperlichen Systeme, ob das das Herz-Kreislauf-System, die Atmung, das Gehirn, das Immunsystem oder der Bewegungsapparat ist. Wir sehen das an allen Studien, dass Bewegung die Lebensqualität und die subjektive Gesundheit steigert.“
Bewegung ist in jedem Alter wichtig es ist nie zu spät, damit anzufangen
Meryn: „Wieso fühlen wir uns besser, wenn wir Sport treiben? Was passiert da genau?“
Macedonia: „Cortisol ist das Stresshormon, das auch psychische Erkrankungen hervorruft. In den Muskeln lagert es sich in einer besonderen Form ab die Muskelarbeit lässt aber ein Enzym entstehen, welches Cortisol neutralisiert. Insbesondere die Beinmuskulatur macht das. Deswegen ist gehen, laufen oder walken so effektiv. Wobei es nicht unbedingt Sport sein muss, es geht einfach um Bewegung. Studien zeigen aber, dass eine gewisse Schwelle überschritten werden muss, damit diese Prozesse in Gang gesetzt werden. Zehn Schritte zu gehen ist zu wenig. Und für jeden gibt es andere Grenzen. Wenn ich mich sehr wenig bewege, reichen anfangs zwei Kilometer am Tag. Je mehr ich mich bewege, umso weiter nach oben geht diese Grenze.“ Meryn: „Und was passiert im Speziellen im Gehirn?“
Macedonia: „Was viele kennen, ist: Wenn man eine Dreiviertelstunde dahinspaziert, man plötzlich gute Gedanken hat und den Kopf freikriegt. Denn bei Stress haben wir unser Aktivitätsnetzwerk eingeschaltet. Gesteuert wird es im Takt mit dem sogenannten Ruhemodusnetzwerk. Wenn wir längere Zeit Bewegung machen, schalten wir das Fokussieren ab, zugunsten dieses Ruhemodusnetzwerks. Das bedeutet aber nicht, dass wir ruhen, sondern es ist mit dem Bereitschaftsmodus eines Computers vergleichbar. Wir werden kreativer und kommen weg von der fokussierten Aufmerksamkeit. Man sollte also immer wieder mal Pausen machen und idealerweise hinausgehen in die Natur. Dann kommt es im Gehirn zu einem Wechsel im Modus und ich habe nachher die Möglichkeit, die Kreativität wieder mehr einzuschalten.“
Meryn: „Herr Rüdiger, zuletzt waren Sie bei einem Berglauf. Was motiviert Sie?“
Rüdiger: „Eigentlich habe ich mir vorgenommen, heuer nicht so viele Wettkämpfe zu machen, aber dann kommen Nachfragen, ob ich eh dabei bin und der Punkt ist, von wem diese kommen. Etwa von Gerhard Wagner, einem der besten Bergläufer, er ist über 80 Jahre alt. Ich bewundere ihn. Das sind wirklich meine Vorbilder.“
Meryn: „Sie haben schon eine Botschaft für uns: Ich kann trotz einer ernsten Erkrankung wie Parkinson Leistungssport machen.“
Rüdiger: „Ja, aber nicht immer. Wenn es mir gut geht. Ich behalte mir das auch bei Zusagen immer vor, dass ein Schub kommen kann. Aber wenn es geht, bin ich dabei.“
Meryn: „Haben Sie nicht Sorge, dass solche Anstrengungen einen Schub auslösen können?“
Rüdiger: „Ja, ist auch schon passiert. Früher bin ich um die 100-150 Kilometer pro Woche gelaufen, die schaffe ich nicht mehr. Jetzt sind es überschaubare 30-50 Kilometer. Und ich laufe wirklich nur noch für mich selbst, ohne Druck. Trotzdem ist mir natürlich geblieben, mein Bestes zu geben. Und es bringt mir an Endorphinen, Glücksgefühlen und Verarbeitung meiner Situation wesentlich mehr als das Umgekehrte, wenn es mal für einige Tage oder Wochen nicht geht. Da merke ich dann den Unterschied.“ Meryn: „Jetzt gibt es auch Studien, dass Marathonläufer und Extremsportler eine kürzere Lebensdauer haben als die Durchschnittsbevölkerung. Das heißt also, Extreme können auch negative Auswirkungen haben?“
Dorner: „Absolut. Zu viel ist auch wieder nicht gut. Aber das große Problem in unserer Gesellschaft ist die Menge an Personen, die viel zu wenig Bewegung macht. Was die österreichischen Bewegungsempfehlungen raten: In der Woche für Erwachsene mindestens 150 bis 300 Minuten Bewegung mit mittlerer Intensität oder die Hälfte der Zeit mit höherer Intensität. Oder eine entsprechende Kombination. Und zusätzlich zweimal in der Woche muskelkräftigende Aktivitäten. Die Empfehlung, dass diese Bewegung mindestens zehn Minuten am Stück dauern muss, gibt es nicht ehr, weil so viele Studien zeigen, dass jede Bewegung zählt und summiert werden kann. Eine neue, ganz wichtige Empfehlung für alle Altersgruppen ist, dass man langandauerndes Sitzen auf jeden Fall unterbrechen sollte. Und das mindestens einmal pro Stunde. Idealerweise nutzt man diese Pausen für Bewegung, aber allein das Aufstehen und Unterbrechen des Sitzens bringt gesundheitliche Vorteile.“
Bewegung tut nicht nur dem Bewegungsapparat gut, sondern auch dem Gehirn.
Meryn: „Ein wichtiges Thema hinsichtlich der Motivation: Wie wirkt sich das Ganze nun auf die Psyche aus?“
Macedonia: „Es gibt einen engen Zusammenhang. Zum einen führt Bewegung zur Ausschüttung von einem Nervenwachstumsfaktor, der sich wie ein Dünger auswirkt sowohl auf die Zellen, also Neuronen, als auch auf ihre Verbindungen. Ein Mangel ist die Grundlage für Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Der zweite Punkt ist die Ausschüttung des Glücksbotenstoffes Dopamin. Hinzu kommt noch die Ausschüttung des Botenstoffs der Ausgeglichenheit, Serotonin. Achten wir allein auf diese Aspekte, führt das zu einer relativ stabilen Psyche und dazu, dass wir auch die Themen das Alltags besser behandeln können.“
Meryn: „Die berühmten 10 000 Schritte pro Tag sind eine Empfehlung der WHO. Ein neuer Bericht sagt aber, der Durchschnittsösterreicher kommt pro Tag auf nur 5 300 Schritte. Was bedeutet das?”
Dorner: „Also so genau weiß man das gar nicht, wo diese Empfehlung herkommt, jedenfalls nicht von der WHO! Man vermutet einen Schrittzählerhersteller. Es gibt aber eine gut durchgeführte Studie, die besagt, ab 4 000 Schritten pro Tag hat man schon gesundheitliche Effekte. Allerdings nur, wenn man vorher sehr untrainiert war. Dann hat man auch schneller gesundheitliche Effekte. Die österreichischen Bewegungsempfehlungen stimmen ganz genau mit denen der WHO überein: mindestens 150 Minuten pro Woche bei mittlerer Intensität.“
Meryn: „Wie kann ich Menschen nach einem langen Arbeitstag noch zu Bewegung motivieren?“
Rüdiger: „Die Motivation ist jeden Tag ein Kampf, alles andere wäre gelogen. Dann nehme ich mir wieder die älteren Teilnehmer von Wettkämpfen her. Da geht es um eine gewisse Grundeinstellung, die man damit trainieren kann. Egal wie widrig die Umstände sind, ich möchte mich überwinden. Denn wenn ich mal kennengelernt hab, wie es mir dann geht das garantiere ich jedem fühle ich mich besser.“
Meryn: „Versuchen wir auch etwas für Minimalisten zu finden. Welche Übungen können Sie, fundiert aus der Wissenschaft, empfehlen, um in relativ geringer Zeit einen maximalen Effekt für das Gehirn und mein Wohlbefinden zu erzielen?“
Macedonia: „Egal welche Bewegung man macht: Danach fühlt man sich besser. Nicht jeder hat die Möglichkeit, schwimmen zu gehen. Fast alle haben aber die Möglichkeit, spazieren zu gehen. Ich muss sagen, es ist auch bei mir an langen Tagen ein Kampf. Ich habe Tage mit zwölf Stunden am Schreibtisch. Aber ich nehme mich zusammen und gehe raus. Ich mach es wirklich für mein Gehirn. Demenz kann jeden treffen abhängig vom Lebensstil. Natürlich gibt es eine genetische Disposition, aber die kommt zum Tragen, wenn ich mich gar nicht bewege. Deshalb jage ich mich hinaus.“
Dorner: „Im Haus der Barmherzigkeit haben wir genau so eine Studie durchgeführt mit Hochbetagten, alle über 90 Jahre, mit Demenz oder zumindest kognitiv beeinträchtigt. Wir konnten mit Kraft und Gleichgewichtstraining zeigen, dass die kognitive Leistung im Vergleich zur Kontrollgruppe messbar verbessert wurde. Und gleichzeitig haben sie erzählt, sie fühlen sich wohler und kommen mit dem täglichen Leben besser zurecht. Daher: altersadäquat, Das Beste wäre, wenn man aber Bewegung ein Leben Sprachen in Bewegung lang.“
Meryn: „Es gab den Versuch an Schulen, während des Fahrens auf dem Ergometer zu lernen. Was wurde daraus?“
Macedonia: „Solche Studien gibt es mehrere, an einer war ich in Leipzig beteiligt: Eine Kollegin ließ Kinder französische Vokabel am Ergometer lernen und hat den Nervenwachstumsfaktor gemessen. Man sah: Die Bewegung führte dazu, dass ein Prozess der Stärkung der Neuronen und Netzwerke stattfindet. Das heißt: Das, was ich aufnehme, wird im Gehirn besser gespeichert – aufgrund der Bewegung, die ich mache. Mein Forschungsschwerpunkt ist Gedächtnis für Sprache, die sensomotorisch gelernt wird. Daran habe ich jetzt 30 Jahre gearbeitet und stelle fest: Das Beste wäre, wenn man Sprachen in Bewegung lernt.“
Meryn: „Was wäre Ihr Appell an die Österreicher?“
Dorner: „Selbst, wenn Sie einen schweren Tag hatten, müde sind, machen Sie irgendeine Bewegung – tun Sie es und Sie werden sich einfach besser fühlen. Und es ist nie zu spät, anzufangen.“
Rüdiger: „Das greife ich sofort auf. Und wie alt, denken Sie, war die älteste Person, die ich auf einem Pilgerweg getroffen habe? 96 Jahre. Man ist also nie zu alt, um mit Bewegung zu beginnen.“
Dorner: „Das kann ich toppen mit einer 99-Jährigen, die mit Krafttraining begonnen hat. Großartig!“
Macedonia: „Bewege dich und dein Gehirn sagt Danke.“