Bis der Akku leer ist – Macht und das Handy krank?
Der folgende Text stammt von Julia Brunhofer für die ORF Nachlese Mai 2024.
Kaum jemand kann sich mehr ein Leben ohne HanWie wichtig und hochkomplex unser Immunsystem ist, bemerken wir meist erst, wenn es aus dem Gleichgewicht geraten ist. Mehr zu Ursachen und Auswegendy vorstellen. Die Wissenschaft warnt vor einem Zuviel der Handynutzung wegen gesundheitlicher Folgen.
Im „gesunden Gespräch“: Hans-Peter Hutter, Erika Jensen-Jarolim, Siegfried Meryn und Ruth Fritsch-Stork.
Ein gesundes Immunsystem ist entscheidend für den Schutz des Körpers vor Eindringlingen wie Bakterien, Viren und anderen Krankheitserregern. Manchmal gerät es jedoch aus dem Gleichgewicht. Autoimmunerkrankungen treten auf, wenn es fälschlicherweise gesunde Zellen als Bedrohung betrachtet. Das eigene Immunsystem wird dann zum Feind im eigenen Körper.
„Woraus besteht unser komplexes Immunsystem und was sind seine Aufgaben?“, eröffnet Meryn das Gespräch.
Jensen-Jarolim: „Wenn man in einem Labor ein Blutbild machen lässt, ermittelt man die roten und weißen Blutkörperchen. Im Wesentlichen sind es die weißen, die dafür da sind, unseren Körper, unsere Barrieren zu verteidigen. Hat man etwa eine Infektion, werden sie mehr, weil sie dagegen kämpfen. Das Immunsystem ist so etwas wie die Polizei. Das ist gut gegen gefährliche Dinge, die von außen kommen. Es hat natürlich keinen Sinn, wenn es sich dabei gar nicht um gefährliche Dinge handelt wie Allergene, Pollen oder Hausstaubmilben. Und es ist zwecklos, wenn es sich gegen eigene Körperzellen richtet Dann spricht man von Autoimmunität.“
Meryn: „Das ist das zellgebundene Immunsystem. Gibt es nicht auch Teile davon im Blut?“
Jensen-Jarolim: „Das ist richtig. Die Zellen haben auch eine Abwehrfunktion und ein Teil von ihnen kann lösliche Substanzen bilden, die man im Blut vorfindet – man spricht dann von Immunglobulinen oder Antikörpern. Diese werden nach Infektionen gebildet und verleihen uns über einige Zeiteinen Schutz. Hier spricht man vom Immungedächtnis.“
Meryn: „Dieses System schützt uns also vor Infekten von außen. Was passiert nun, wenn es fehlgeleitet wird und warum passiert das?“
Jensen-Jarolim: „Es sollte in Balance bleiben, kann aber ausschlagen in die eine oder andere Richtung, immer zu einer Art von Entzündung. Im Wesentlichen gibt es Veränderungen von außen, unserer Umwelt, Schadstoffe oder auch Stress spielen eine Rolle. Oder auch Veränderungen von innen – eine gute Ernährung ist natürlich auch etwas, das unser Immunsystem in Balance hält. Daher auch mein Zitat: Die Immunzellen werden hangry, also hungrig und böse, wenn sie nicht genug Nährstoffe bekommen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor.“
Allergien nehmen zu, während die witterungsbedingten Auszeiten für Allergiker immer rarer werden
Meryn: „Aktuell erleben wir eine Klimaveränderung. Inwieweit hängt das mit einem fehlgeleiteten Immunsystem oder einer überschießenden Reaktion zusammen?“
Hutter: „Wir leben definitiv anders als unsere Vorfahren vor 100 Jahren oder überhaupt in unserer Evolution. Und die Umwelt spielt eine Rolle – von Chemikalien bis hin zu neuen Stoffen. Ist etwas neu, hat unser Immunsystem damit noch nichts zu tun gehabt und dann kann es zu verschiedensten Ausformungen bzw. Beeinträchtigungen kommen. Einfaches Beispiel: Duftstoffe. Die sind in der Bevölkerung wesentlich positiver besetzt als zum Beispiel Nahrungsmittelzusatzstoffe. Wir wissen aber, dass sie entsprechende Probleme machen. Oder Ozon das gab es immer, aber nicht in diesem Ausmaß. Oder Ultrafeinstaub bis hin zu verschiedensten Dingen aus dem Haushalt wie Chemikalien aller Art, die Probleme machen können. So haben wir heute eine unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten, die unser Immunsystem und unsere Gesundheit beeinträchtigen können.“
Meryn: „Man hört ja immer: Wir haben so viele Allergien, weil sich die Umwelt verändert hat. Stimmt das oder ist das eine Art Ausrede?“
Jensen-Jarolim: „Es stimmt. Und wurde auch vielfach wissenschaftlich untersucht: Die Umwelttoxine verändern die Allergene. Damit entstehen für das Immunsystem Gefahrensignale, wodurch eine harmlose Substanz plötzlich als gefährlich eingeschätzt wird und es zu einer überschießenden Reaktion kommt. Und ja, Allergien nehmen zu.“
Hutter: „Aber das sind natürlich nicht nur neue Stoffe, sondern auch unsere Lebensart. Wenn man etwa die Kinder nicht mehr in der Erde buddeln lässt, hat das auch eine Folge. Die sogenannte Hygienehypothese sagt, dass eine Hyperhygienisierung auch keine gute Idee ist, weil eben das Immunsystem schon von Anfang an trainiert werden muss. Man hat ein höheres Risiko, an einer Allergie zu erkranken, wenn das Immunsystem nicht trainiert wird.“
Meryn: „Was sind nun Autoimmunerkrankungen und sehen Sie auch eine Zunahme?“
Fritsch-Stork: „Von einer Autoimmunerkrankung spricht man im Wesentlichen dann, wenn sich das Immunsystem, das nach außen gerichtet sein sollte, nach innen richtet. Dann kann es sein, dass es den ganzen Körper betrifft, das nennt man systemische Erkrankungen, von Kopf bis Fuß, alles Mögliche. Oder aber, und das kommt häufiger vor, organgerichtet. Da ist es vor allem die Schilddrüse oder Rheuma, was vermehrt in den Gelenken konzentriert ist. So wie es etwa Antikörper gegen das Allergen der Hasel gibt, gibt es auch welche, die ganz spezifisch den Zellkern einer Zelle angreifen und diese mit der Zeit zugrunde richten. Der Auslöser ist in fast allen Fällen die Kombination von Genetik und Umweltfaktoren. Da spreche ich weniger von den Umweltfaktoren, die uns seit Kurzem bewegen, sondern meine etwa Rauchen.“
Meryn: „Warum sind von Autoimmunerkrankungen mehr Frauen betroffen?“
Fritsch-Stork: „Auf dem zweiten X-Chromosom der Frauen sind sehr viele Gene, die auch in der Immunität eine Rolle spielen. Frauen haben ein anderes Immunsystem und bauen etwa viel höhere Titer, also Mengen an Antikörpern, auf.“ Meryn: „Einige Studien sprechen von einer Zunahme von Autoimmunerkrankungen nach einer Covid-Infektion. Und manche behaupten auch, nach der Impfung.“
Fritsch-Stork: „Jede infektiöse Erkrankung kann etwas boostern. Das sah man auch schon an einigen anderen Infektionskrankheiten lange vor Covid-19. Also virale Infekte können Trigger sein.“ Jensen-Jarolim: „Es ist ja so, dass Viren über Rezeptoren an unseren Immunzellen eindringen und wenn eine Immunantwort entsteht, ist die gegen das Virus gerichtet, aber das kann auch leicht gegen den Rezeptor gerichtet sein. Hier müssen wir noch viel lernen. Und wir sehen jetzt vermutlich auch mehr von diesen merkwürdigen immunologischen Reaktionen, weil sehr viele von Covid betroffen waren.“
Meryn: „Was tut sich allgemein in puncto Allergien in Österreich?“
Jensen-Jarolim: „Die letzten österreichischen Daten sind aus 2019 von der Statistik Austria. Die sagen, dass die Allergien an zweiter Stelle der chronischen Erkrankungen insgesamt stehen. An erster Stelle sind es die Rückenschmerzen. Rund 1,7 Millionen Menschen in Österreich sind von einer Allergie betroffen. Der internationale Trend zeigt uns klar: Allergien werden mehr, gemeinsam mit der Umweltverschmutzung.“
Hutter: „Es mangelt uns wirklich an Daten. Alle Publikationen zeigen einen Anstieg an verschiedensten Allergien. Was auf jeden Fall im Ansteigen ist, ist Ragweed. Was nicht verwunderlich ist, weil es inzwischen sehr günstige Wachstumsbedingungen hat. Das Ökosystem ist umgestellt, es ist trockener, wärmer und es kommen neue Pflanzen zu uns. Und natürlich verändert sich auch die Blütezeit. Es gibt weniger Zeiten und Räume, wo man sich als Allergiker eine Auszeit gönnen kann.“
Besonders die Schilddrüse ist von Autoimmunerkrankungen betroffen
Meryn: „In welchen Bereichen der Medizin treffen wir auf Autoimmunerkrankungen?“
Fritsch-Stork: „Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte in der ÖGR, das ist die Gesellschaft für Rheuma, einen Rheuma-Report gemacht. Die häufigsten sind die rheumatoide Arthritis, die man an den Gelenken spürt Und ein Drittel der Menschheit ist von Schilddrüsenerkrankungen betroffen. Aber auch Diabetes Typ 1 (der Jugenddiabetes), und in der Neurologie etwa MS. Alles Autoimmunerkrankungen.“
Meryn: „Autoimmunerkrankungen sind im Zunehmen, es sind mehr als 300 000 Menschen hierzulande betroffen, was bedeutet das?“
Fritsch-Stork: „Erfreulich ist, dass man die neuesten Biologika in Österreich recht rasch bekommt. Einfach erklärt, picken sie sich einen Schenkel der immunologischen Kaskade heraus und unterdrücken den. Das ist das Schöne, dass wir nicht mehr, wie etwa mit Kortison, alles unterdrücken.“
Meryn: „Kann man Autoimmunerkrankungen heilen?“
Fritsch-Stork: „Man kann sie gut behandeln. Und die Behandlung ausschleichen und mal schauen, ob das schon genug war. Aber heilen geht nicht aufgrund der genetischen und Umweltkomponente. Im Alter ist das Immunsystem meist schwächer, was auch die Ausprägung von Autoimmunerkrankungen abschwächt.“
Meryn: „Ist das bei Allergien auch so, dass sie mit dem Alter abnehmen?“
Jensen-Jarolim: „Allergien werden durch die Umwelteinflüsse immer aggressiver. Wir sehen erste Sensibilisierungen etwa bei Ragweed im Alter von 70. Man kann dem nicht davonlaufen, weil sich unsere Umwelt dramatisch ändert Wir sprechen sogar von einer Allergikerkarriere — das beginnt in der Kindheit. Wenn das Kind Glück hat, kann sich das auswachsen und mit dem Erwachsenenalter und dem Hormoneinfluss besser werden. Bei Frauen nicht, da die weiblichen Sexualhormone die Allergien begünstigen. Männliche Sexualhormone wirken den Allergien entgegen. Kommt die Frau in den Wechsel, ist das eigentlich günstig, aber es gibt ja Hormonersatztherapien, wo Studien zeigen, dass Allergiesymptome dadurch entstehen oder stärker werden können.“
Meryn: „Lassen sich Allergien auch heilen? Stichwort Desensibilisierung?“
Jensen-Jarolim: „Desensibilisierung ist gewissermaßen den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Man gibt das Allergen in den Allergiker, damit sich das Immunsystem wieder gewöhnt und bemerkt, dass das eigentlich gar nicht gefährlich ist. So kann es wieder einen Schutz aufbauen. Man darf aber nicht zu viel versprechen. Es kommt zu einer Symptomreduktion, man braucht weniger Medikamente, aber eine Heilung sehen wir nicht. Sehr erfolgreich sind wir damit bei Pollen und Hausstaubmilben, aber dann ist eigentlich schon bald Schluss. Die Firmen konzentrieren sich hier auf die häufigsten Allergene. Aber versuchen kann man es auf jeden Fall. Der wirkliche Bonus ist, dass die Erkrankung nicht chronisch wird und fortschreitet.“
Hutter: „Deshalb ist auch die Vorsorge so wichtig. Wir sollten patientenorientierter werden und ihnen helfen, mit der Allergie umzugehen. Damit es eben nicht zur Chronifizierung kommt, zu einer Verstärkung und etwa Asthma. Wenn wir sehen, dass immer mehr Menschen durch Umwelteinflüsse Einbußen in ihrer Lebensqualität haben, müsste das auch ein Aufruf sein, mit der Umwelt vorsichtiger umzugehen.“
Meryn: „Ist das ein Problem unserer Industrieländer?“
Hutter: „Das ist kompliziert, aber nehmen wir das Beispiel Malediven: Auch dort gibt es Diabetes und Allergien, weil alles Mögliche importiert wird, womit sie nie zu tun hatten. Also es ist richtig, dass Kinder auf den Bauernhof gehören. Sie sollen nicht verwahrlosen, aber es soll auch nicht alles desinfiziert werden. Das entspannte Herangehen ist aber heutzutage weg, man muss das immer extra erklären. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns wieder ein bisschen rückbesinnen. Und auch der Stress hat einen negativen Einfluss. Das kommt aus meiner Sicht meist zu kurz. Wir brauchen eine Mäßigung in unserem Konsumverhalten und der Hektik des Alltags.“
Meryn: „Sie beschäftigen sich ja auch viel mit immunologischer Forschung. Wollen wir in die Zukunft schauen? Wohin geht die Reise?“
Fritsch-Stork: „In die Molekulartechnologie. Es gab vor ungefähr einem Jahr eine bahnbrechende Arbeit, wo eine Behandlung für bösartigen Blutkrebs in eine Behandlung für rheumatische Systemerkrankungen umgewandelt wird. Dabei nimmt man eine Zelle aus dem Körper und polt sie um, sodass sie die vermeintlichen bösen Zellen, die B-Zellen, die diese Antikörper produzieren, angreift und dadurch ausschaltet. Das heißt, man verwendet die eigene Abwehr, um die bösen Zellen, die zu viel geworden sind, abzutöten.“
Meryn: „Wie hält man sein Immunsystem fit?“
Jensen-Jarolim: „Ich sehe in der Ernährung ein wirkliches Problem. Das Kochen sollte einen neuen Stellenwert haben weg von den prozessierten Nahrungsmitteln, die übrigens auf den Malediven mehr Probleme machen als die Luftverschmutzung. Zudem Mikrobiompflege, präbiotische Nahrung und gesunde Ernährung damit die Immunzellen nicht hangry sind.“
Hutter: „Es braucht ausgewogene Ernährung, Bewegung und ein ausgewogenes soziales Leben.“ Fritsch-Stork: „Ich kann mich dem nur anschließen. Auch in Bezug auf Rheuma steht das ganz vorne und es gibt gute Daten: Bewegung und mediterrane Ernährung. Da schließt sich der Kreis.“